Einfach göttlich

Aphrodite, Apollon, Artemis, Dionysos, die Götter sitzen nebeneinander auf der Bühne und gestikulieren, während Poseidon ungeschickt versucht, einen Liegestuhl aufzustellen. Er fällt ihm aus den Händen. Bam! Alle fahren in sich zusammen. „Psssst!“ Zeus darf doch nicht geweckt werden. Der Herrscher des Olymps, der nichts im Kopf hat, als Sex und Blitzeschicken.

„Errare Divinium Est.“ Irren ist göttlich. Das kommt in Hessens Stück auf jeden Fall zum Ausdruck, denn die Götter philosophieren mit einer Menge Humor über ein neues Europa und wie sie sich, unter die Sterblichen gemischt, in das irdische Geschehen einbringen können. Die Bewohner des Olymps diskutieren darüber, was sie in Europa und der EU verändern wollen. Interviews mit verschiedenen Passanten werden eingeblendet, in denen Ihnen Fragen zur europäischen Politik gestellt werden. Daraufhin nehmen die SpielerInnen Stellung zu einigen der Antworten und geben dem Ganzen eine besonders persönliche Note, da sie für diesen Text aus ihren Rollen treten und sie selbst sind. Einige Menschen entschließen sich, da auch sie unzufrieden mit Europa und der EU sind, in einem Heißluftballon auf den Olymp zu reisen und die griechischen Götter um Rat zu bitten. Sie merken jedoch schnell, dass diese gar nicht mehr Ahnung haben, als sie selbst, denn Zeus ist für den VW-Skandal zuständig, Aphrodite will sowieso lieber mit einem Aperol auf dem Olymp entspannen, Dionysos widmet sein Leben dem Fußball. Oder genauer gesagt Cristiano Ronaldo. Siiii!

„Das größte Problem der EU ist, dass sich keiner an irgendwelche Regeln halten will, aber alle sagen, dass man endlich etwas ändern muss.“

Die sehr unterschiedlichen Interview-Fragen die auf einer Leinwand als Video abgespielt werden, sprechen aktuelle Themen, wie die Flüchtlingskrise, Neonationalsozialismus und die europäische Gemeinschaft an, die momentan den ein oder anderen an Europa zweifeln lassen. Die anschließenden, ernstzunehmenden Stellungnahmen, die jedoch durch teilweise trockenen Humor und Schweizerdeutsch gelockert werden, geben individuelle Einblicke in die Köpfe der SpielerInnen und offenbaren somit auch Standpunkte unterschiedlicher Bürger. Am Ende der Diskussion ist eines klar: Die EU macht irgendetwas falsch und es muss Veränderung her. Nur wie?

„Wir brauchen eine Neuordnung des europäischen Kontinents.“ sagen die Götter.

Zeus behauptet, könne er etwas verändern, würde er erstmal bei den Terroristen aufräumen. Mit Gewitter und Blitzen. Er will zwar gegen den Terrorismus angehen, aber dann ist er doch auch der Vorstandsvorsitzende von VW und verteidigt sich erstmal groß und breit.  Eine Highlight-Szene.

Die Menschen werden von den Göttern nicht ernst genommen und entscheiden genervt, wieder zur Erde zurückzukehren. Sie sind schließlich überzeugt davon, dass sie das Ganze doch lieber selbst in die Hand nehmen wollen, denn sie wissen, was wirklich wichtig ist. Am Ende lauschen sie auf der Erde missbilligend dem Donnergrollen des Himmels. „Auf dem Olymp feiern sie gerade sicher wieder den Fußball. Als gäbe es nicht Wichtigeres zu tun.“ Sie müssen eben wirklich selbstständig aktiv werden, wenn sie Europa verändern wollen.

Das gesamte Stück behandelt eine ernste Thematik, die so humorvoll verpackt ist, dass einem vor Lachen oft die Tränen kommen. Die Schauspieler überzeugen mit genialen, satirischen Dialogen und Monologen, wie in der Heute-Show des ZDF, trockener Komik und einer schauspielerischen Glanzleistung. Da macht es auch nichts, dass sich auf der Bühne wenig bewegt und das Bühnenbild sich kaum verändert – eine runde Handlung, der nichts fehlt und die man jederzeit nochmal angucken würde. Einfach göttlich!

Vorab-Interview Luis und Marisa, Hessen (PDF-Version)

Mittwoch – Laboe und Orga am Strand

In unseren nun beheizten Hütten starten wir entspannt unseren Tag, gönnen uns ein heißes Bad bei einer Tasse heißen Schokolade mit Sahne, während wir dem Rauschen der Falckensteiner Wellen lauschen.
Eigentlich nicht. Um 7.30 Uhr  stehen wir gehetzt auf, irgendwie sind schon alle beim Frühstück, als mein Wecker klingelt?
Um 8.15 Uhr geht’s dann mit Spielleiter Andis Auto los zum Bayern-Stück und während ich noch immer am Struggeln bin, ob ich mir als Blog-Redaktion ein paar Stündchen auf dem Seniorenschiff nach Laboe gönne, steigen wir schon, vorbei am Publikum , das sehnsüchtig wartet in das Studio der Bayern geleitet zu werden, über die Absperrungen und schleichen durch ein paar Hintergemächer zu dem Raum, in dem die „Spurensuche“ stattfinden soll. Wie VIPs vor den Normalsterblichen da sein und uns gute Plätze sichern, das war ein Feeling, auch wenn wir letztendlich doch keinen Vorteil daraus gezogen haben. Was soll man machen… Wir sind eben doch nur die Orga…

Verträumt in die Sonne blinzelnd sitzen wir nun am Strand von Falckenstein etwas entfernt von unseren vollgeschmierten, nun beheizten Hütten und philosphieren darüber, wie es wohl den Laboe Dampfern und ihren Passagieren ergeht. Kostenlose Getränke auf dem Seniorenschiff, hunderte Menschen, die bei enormer Lautstärke und 30 Grad eine Stunde nach Laboe fahren, um dort 2 Stunden bei einem Brötchen zu hocken und anschließend wieder eine Stunde auf dem Dampfer zurücktuckern. So stellen wir uns den Ausflug jedenfalls vor. Was will man mehr, nicht wahr?

Was wir letztendlich hören, ist jedoch sehr viel mehr: Zwar trägt das Seniorenschiff seinen Namen zurecht, denn dort sind wirklich nur Rentner wie Moritz und Augusto direkt beim Ankommen feststellen, jedoch gibt es dort nicht nur kostenlose Getränke, sondern auch ein paar interessante Gespräche mit ehemaligen Spielleitern…
Die Leichtigkeit der Jugend macht sich hingegen auf dem Schülerschiff in der Geschwindigkeit bemerkbar und braucht original 20 Minuten weniger für die gleiche Strecke. Aber gut… Alles hat seine Zeit.
Auf Laboe gibt es außerdem mehr zu erleben, als nur mit einem Brötchen in der Hand 2 Stunden zu warten. Man kann durch ein paar Cafés schlendern, sich was zu essen kaufen und baden. Immerhin.

Am Abend noch Berlins Theaterstück und anschließend lassen „Winni und der Kneipenchor“ den Abend im Polit-Zirkus gemütlich mit ein paar sanften Klängen von Oasis ausklingen, während Moritz die letzten Überbleibsel in die Jugendherberge karrt.

Insgesamt ein guter Tag, sagen alle. Spieler, Spielleiter, ehemalige jeder Art und auch die Orga.

Wärst du nur stumm

Nordrhein-Westfalen spielt „unerhört“ im RBZ

In bunten Kleidern und Hosen, mit Perücken in schrillen Farben und exzentrischem Make-up hüpfen die SpielerInnen über die Bühne, drehen ihre Arme in gekonnten Puppenbewegungen. Das Grün des Bühnenbildes lässt die Kostüme noch mehr strahlen. Die Gesichter lachen, kichern, weinen. Sie sind die Puppen eines Kindes, dessen Entwicklung sie miterleben und die sich in ihnen widerspiegelt. Ein Kind, das seine Stimme und seinen Weg von der Unmündigkeit zur Verantwortung findet. Ein Kind, das von seiner Umwelt durch Kritik und Komplimente beeinflusst wird, an das viele bedrückende Erwartungen gestellt werden und das letztendlich doch weiß, was es will: Sein. Mitbestimmen. Gehört werden.

Nordrhein-Westfalen stellt ein Stück mit der ausgefallenen Idee auf die Bühne, die Ängste und Sorgen in der Jugend eines Menschen zu erzählen, ohne dass dieser durch einen Spieler verkörpert wird. Die Puppen spiegeln das Kind selbst wieder: am Anfang sind sie kindisch und albern, später haben sie eigene Meinungen und wehren sich gelegentlich. Sie wollen es beschützen, kritisieren die Eltern und fühlen mit, wenn es traurig ist. Aber auch sie haben Erwartungen an ihren Schützling und hoffen, dass er Großes bewirken wird, allerdings sind sie es auch, die die hohen Erwartungen von Seiten der Eltern bemängeln.

„Ein Kind hat hundert Stimmen, hundert Sprachen, hundert Gedanken, aber 99 davon werden ihm genommen.“

Die Puppen stehen am Bühnenrand, mit eindringlichem Blick kritisieren sie den Menschen, dafür, dass er alles formen will, wie es ihm gefällt und dafür, dass er von allem, eine genaue Vorstellung hat – auch von seinem Kind… Die Eltern nähmen ihrem Nachwuchs Möglichkeiten und würden ihn so hinbiegen wollen, wie sie und die Gesellschaft es gerne hätten. Ein Mädchen darf kein Fußball spielen, denn es ist ja ein Mädchen. Wenn es aber fragt, ob es am Ballettunterricht teilnehmen darf, dann sind sie stolz. Das Kind darf nicht die Kleidung tragen, die ihm gefällt, es darf nicht mitentscheiden, selbst wenn es seine eigenen Anliegen betrifft, denn es ist ja nur ein Kind. Aber nein, „es ist IHR Kind!“, wird betont. Und seine Meinung sollte zählen.

„Wärst du nur stumm, dann würde deine Mama aufhören, dich zu manipulieren.“ Begleitet von einer Gitarre singen die SpielerInnen ein Lied, in dem sie Eltern diesen und weitere Vorwürfe machen. Die Botschaft in diesem Song ist klar: Die Eltern wenden sich gegen das Kind, beziehungsweise schaden ihm mit ständiger Kritik. Diese Szene ist übertrieben und inhaltlich undifferenziert, denn sie verallgemeinert und ignoriert die Seite der Eltern. Zumindest bezüglich der Manipulation, der Aspekt ständiger Kritik ist verständlicher.

„Ich erzähle meinen Lehrern nichts, denn sie hören mir sowieso nicht zu.“ Auch ungerechtes und rücksichtsloses Verhalten der Politiker und insbesondere der Lehrer werden angesprochen. Die Puppen spielen eine Szene im Klassenzimmer nach, in der die Lehrerin den Kindern sämtliche kreative Ideen verweigert. Sie fühlen sich nicht angehört und ignoriert. Auch hier ist die Kritik zwar verständlich, jedoch ungerecht allgemein dargestellt, denn es gibt genug Lehrer, die immer ein offenes Ohr haben, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen.

Das gesamte Stück ist schön anzusehen, die Moral ist klar: Kinder sollten gehört werden, mitbestimmen können. Vereinzelte Ballettelemente in den Choreographien runden das Ganze ab und liefern so manches ästhetische Bild. Die quietschigen Puppenstimmen werden im Laufe des Stückes jedoch etwas anstrengend und zwischendurch wirkt es schleppend, die Dynamik fehlt an manchen Stellen. Insgesamt ein gelungenes Stück mit einer außergewöhnlichen Idee bezüglich des Inhalts und der Darstellung. Trotz in mancher Hinsicht ein wenig ungerechter Vorwürfe, ein Gedankenanstoß und ein Schauspiel, das im Kopf bleibt.
Danke dafür.

Vorab-Interview Karo, NRW (PDF-Version)

Kerzen der Hoffnung

Schleswig Holstein spielt „Na Gott sei Dank“ in der Kieler Oper

Viele verschiedene Gesichter, ganz unterschiedliche Nationalität, schwarze Kleidung, blaues Licht, ein Standbild. Wir betreten den Raum, ich – natürlich – finde meinen Platz erstmal nicht. Eine halbe Reihe muss aufstehen. Na toll. Das Licht wird dunkler, die SpielerInnen rennen durcheinander, ein kleiner Monolog. Wieder ein Standbild, diesmal ein bewegtes, fünf Gruppen in verschiedenen Ebenen, alle in verschiedene Richtungen gedreht und doch beten sie alle – beten sie? Es sieht so aus – nach oben, gen Himmel.
Na Gott sei Dank – Was bedeutet Glaube und was bringt er für Freuden aber auch Probleme mit sich? Es gibt so viele Unterschiede, der eine feiert Weihnachten, für den anderen ist das Zuckerfest nach dem Fasten von Bedeutung. Beten für die Familie, für Frieden im eigenen Land, beten, dann, wenn man glücklich ist oder Angst hat. Fünfmal am Tag? Wenn man es gerade selbst braucht, oder… auch gar nicht. Die Gruppe aus Schleswig-Holstein zeigt, wie verschiedene Glaubensrichtungen, trotz Konfliktpotenzial zusammen existieren können, manchmal nebeneinander, aber doch als friedliche Gemeinschaft.

„Ich glaube an Allah.“
„Ich glaube an mich selbst.“
„Ich glaube an Gott.“
„Ich glaube an meine Familie.“

Der Saal ist dunkel. Eine Kerze nach der anderen erleuchtet, das schummrige Licht erhellt die Gesichter der Spieler. Ein schönes Bild, voller Hoffnung und Verletzlichkeit. Sie offenbaren ihre Wünsche, Ängste und ihre Religion in dem was sie glauben. Die Kerzen als einzige Requisiten – ein Symbol Gottes oder eben nicht, in jedem Fall ein Symbol der Hoffnung.
Aber auch die Grausamkeit einiger Religionen wird gezeigt, indem mit den Kerzen als Mordinstrument einige Spielerinnen geköpft werden. Nachdem die Mörder aus den toten Körpern ein Kreuz gelegt haben, sagen sie: „Im Namen Gottes“. Die Charaktere betonen aber auch, dass sie gerne einiges an ihren Religionen verändern würden, wenn sie könnten. So zum Beispiel die Zwangsheirat und die Verpflichtung zum Tragen einer Kopfdeckung. Später wird die Stimmung versöhnlicher:  Eine weihnachtliche Szene – die Gruppe stellt sich auf und alle – ob sie nun Weihnachten feiern oder nicht – singen eines der traditionell beliebtesten deutschen Weihnachtslieder: Stille Nacht. Ein starker Moment. Alle gemeinsam stehen sie auf der Bühne, die magische, weihnachtliche Atmosphäre füllt den gesamten Saal aus und das, obwohl viele einen anderen Glauben als das Christentum haben und aus fernen Ländern kommen.

Man merkt, dass dieses Stück von den Schülern selbst kommt. Es ist ehrlich, mutig und mit viel Herz gespielt. Verschiedene Schüler erzählen ganz persönlich, wie sie es sicher auch uns erzählen würden, die Regeln ihres Glaubens oder spielen festliche Szenen aus den eigenen Familien nach. Obwohl „Na Gott sei Dank“ keinen großen Wert auf einen zusammenhängenden Spannungsbogen legt, berührt es mit seinen ehrlichen, persönlichen Aussagen die Zuschauer. Es begeistert nicht nur mit vielen Gesangseinlagen, sondern kann auch einen neuen Blickwinkel auf zunächst ferne Religionen eröffnen, indem nähergebracht wird, wer und was dahintersteht. Am Ende ist der Applaus gewaltig, es wird geklatscht und gepfiffen, viele Leute stehen sogar auf. Vielleicht hat denjenigen, die sitzengeblieben sind, erzählerischer Zusammenhang gefehlt, inhaltlich und spielerisch ist der Beifall aber voll und ganz gerechtfertigt. Die Botschaft des Stücks ist hoffnungsvoll. Deshalb verlasse ich den Saal etwas nachdenklich, aber mit einem Lächeln. Wie der gesamte Eröffnungsabend macht das Stück Lust auf mehr.

Vorab-Interview Yekta, Schleswig-Holstein (PDF-Version)

Vorab-Interview Niklas, Schleswig-Holstein (PDF-Version)