Gästeliste +1

Als Doppelagent bei der Fachtagung

Vielleicht habt ihr am Rande mitbekommen, dass neben euren Workshops auch Fachvorträge gegeben wurden. Normal war mit Gästeliste, aber der Türsteher war Ehrenmann, ich bin auch so reingekommen. Der erste Vortrag war wie eine Universitätsvorlesung aufgebaut. Für Leute, die zum Einschlafen Hörspiele hören, kann das ermüdend sein. Ich aber lese ja lieber die Sprüche über Niels‘ Bett und war hellwach. Der Redner war Herr Dr. Ingo Juchler, unter anderem Politikwissenschaftler, der in einer dreiviertel Stunde mal eben souverän 2 ½ Jahrtausende politische Theatergeschichte aspektorientiert zusammengefasst hat. Maschine. Grundaussage: Nur durch Freiräume wie das Theater bekommt ein Rechtsstaat ein stabiles Fundament. Kann man so stehen lassen. Auch Herrn Juchler gefiel sein eigener Vortrag offenbar so gut, dass er gar nicht mehr aufhören wollte. Schließlich musste er sich selbst abwürgen. Die Pinkelpause ist dabei trotzdem draufgegangen und so wurde es im folgenden Vortrag etwas unruhig im Publikum.

Jetzt redete Branko Šimić, ein Hamburger Theaterregisseur und Kurator. Der Name lässt schon vermuten, dass Herr Šimić vom Balkan stammt und passend zu seiner Herkunft war auch das Thema seines Vortrages. Es ging um das Massaker von Srebrenica, den größten europäischen Massenmord seit dem Ende der Shoah. Für Šimić ist klar, dass politisches Theater nicht ohne Schmerz funktionieren kann und so berichtet er ungeschönt von der teilweise sehr belastenden Arbeit an der Thematik, die er als ein minimalistisches Zwei-Personen-Stück auf eine kleine Bühne des Thalia Theaters Hamburg gebracht hat. Die Wahrheit ist nicht immer eine Komödie und muss trotzdem ans Tageslicht kommen, dafür arbeitet Šimić. Am 30.10. läuft das Stück zum 25. Mal. Überlegt es euch, liebe Hamburger, Schatten gehört genauso auf die Bühne wie Licht. Hier gibt es Infos und Schülerkarten für 10€: https://www.thalia-theater.de/de/spielplan/repertoire/srebrenica/

Jetzt konnten sich unzählige Blasen endlich Erleichterung verschaffen, bevor Uta Plate, eine gebürtige Schleswigerin, und renommierte Theaterpädagogin, die unter anderem über 10 Jahre an der Berliner Schaubühne gearbeitet hat, ans Rednerpult trat. Im Raum kennt und liebt man sie für ihre pädagogischen Ratgeber. Das klingt nach eingestaubtem Lehrer-Bücherschrank, ausgestrahlt hat sie aber das Gegenteil. Die Dame hat dermaßen Street-Cred, die würde Bonez und Gzuz mit ein paar Wochen Theaterarbeit von der Straßenbande ins literarische Quartett bringen. Woran merkt man das? An ihren Taten. Wie zuvor bei Šimić ist ihr Vortrag ein Bericht über ihre Art zu arbeiten. Auch sie hält die Beschäftigung mit schmerzhaften Thematiken für die wertvollste. Nachdem sie unter anderem in einer Jugendvollzugsanstalt mit Inhaftierten inszeniert hat, ging sie nach Dresden, um den Vorurteilen über rechtsradikale unerzogene Sachsen nachzugehen und sich ein eigenes Bild zu machen. Mit Jugendlichen, die aus einem zur Pegida neigenden Stadtviertel kamen, brachte sie trotz erheblichen Widerstands aus der Gruppe und einigen der Elternhäuser ein erfolgreiches Theaterstück auf die Dresdner Bürgerbühne, das Vorurteile Stück für Stück abbaut. „Aber Ute, häää? Isch versteh das nisch, isch dachte, das sind Monster!“, ahmt Plate die Reaktion eines Schülers auf die Konfrontation mit einem syrischen Flüchtling nach. Sätze wie diese zeigen ihr, dass sich auch ein Kampf gegen Windmühlen lohnen kann. Seid mal nicht zu hart zu euren Theaterlehrern; deren Kampf ist nicht selten genauso wahnsinnig – im positiven Sinne.

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